Juristische Fakultät

Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht

Im 21. Jahrhundert machen Entkirchlichung, Individualisierung und Europäisierung die Privilegien, die das deutsche Staatskirchenrecht den Großkirchen im Bereich der Ausgestaltung ihres „eigenen“ kollektiven Arbeitsrechts eröffnet, mehr und mehr fragwürdig. So ist das Arbeitsrecht der Kirchen gegenwärtig verstärkt in den Fokus der öffentlichen Diskussion geraten. Einerseits haben kirchliche Träger wie Caritas und Diakonie ihre dominierende Stellung im Bereich der sozialen Dienstleistungen weiter ausgebaut und gehören zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Andererseits müssen sie sich deshalb der massiven Kritik der großen Gewerkschaften an ihren dem Tarifvertragssystem entwachsenen Kommissionsstrukturen stellen. Dem entsprechen teils kritische Gerichtsentscheidungen weltlicher Arbeitsgerichte und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Diese sorgen für Gesprächs- und ggf. auch Handlungsbedarf.

Aktuelle Problemfelder

  • Gesellschaftlich findet sie Ausdruck im wachsenden Druck auf die kirchlichen Einrichtungen, ihren Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, für bessere Arbeitsbedingungen ggf. auch zu streiken und dadurch ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Hierdurch werden der wirtschaftsfriedliche „Dritte Weg“ und das paritätische Kommissionsverfahren tendenziell in Frage gestellt.
  • Politisch sorgte die „Kleine Anfrage“ der Fraktion „Bündnis 90/ Die Grünen“ im Bundestag für Aufsehen, die den Sonderweg der Kirchen im Arbeitsrecht im Hinblick auf die Wettbewerbsverzerrung der mit ihnen konkurrierenden Dienstleister in Frage stellte. Die Antwort der Bundesregierung erfolgte zwar im Sinne der Kirchen, jedoch zeigt der aktuelle Antrag der Fraktion „Die Linke“, der die Stärkung der Grundrechte von Beschäftigten in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen zum Gegenstand hat, dass die politische Diskussion zu diesem Thema noch nicht beendet ist.
  • Zuletzt hat das deutsche kirchliche Arbeitsrecht auch auf europäischer Ebene von sich reden gemacht. So hatte sich der EGMR im Jahr 2012 in vier Urteilen mit dem deutschen „Sonderweg“ der Kirchen zu befassen. Auch wenn die Straßburger Richter diesen im Ergebnis nicht in Frage stellten, lässt sich doch das starke kirchliche Selbstbestimmungsrecht i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV nach herkömmlicher BVerfG-Rechtsprechung damit nicht mehr ganz in Übereinstimmung bringen.

Forschungsfelder

  • Formulararbeitsverträge insb. im Bereich Caritas/ Diakonie mit ihren Bezugnahmen auf die jeweiligen AVR;Untersuchung der Rechtswirkungen der Bezugnahme und der Möglichkeiten der Optimierung der Vertragsgestaltung;
  • Stärken und Schwächen des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts, insbesondere im Vergleich mit dem „weltlichen“ Betriebsverfassungsrecht;
  • Zukunftsfähigkeit des „Dritten Wegs“ der beiden Großkirchen, insbesondere Vergleich der „Parität“ zwischen Dienstgebern und –nehmern im Kommissionensystem gegenüber der „Parität“ zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften im Tarifvertragssystem („Zweiter Weg“), damit stets verbunden die Frage nach der Einflussnahmemöglichkeit von „weltlichen“ Gewerkschaften am „Dritten Weg“ bzw. dessen möglicher Konkordanz mit dem Tarifvertragssystem;
  • Analyse der Entwicklung der kirchlichen Arbeitsgerichtsbarkeit beider Kirchen, insbesondere nach Abschluss der „Experimentierphase“ im Bereich der KAGO. Hierbei sollen speziell mögliche präjudizielle Auswirkungen kirchengerichtlicher Entscheidungen auf die weltliche Arbeitsgerichtsbarkeit untersucht werden.

Forschungsaktivitäten

  • Wissenschaftliche Veröffentlichungen in arbeitsrechtlichen bzw. spezielleren Fachzeitschriften bzw. speziellen Handbüchern und Monografien, insbesondere auch unter Erhebung empirischer Daten in Kooperation mit den Sozialwissenschaften;
  • Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch die Betreuung von Dissertationen und Studienarbeiten;
  • Wissenschaftliche Präsenz insb. durch die Veranstaltung von Fachtagungen und durch Vortragstätigkeit bei speziellen Zielgruppen (z.B. Geschäftsführer-/Dienstnehmer-Tagung ELKB, KODA-Workshop Diözese Freiburg etc.) wie auch großen Tagungen (z.B. Eichstätter Fachtagung der ZMV);
  • Vertiefung des interdisziplinären Dialogs zwischen Theologie und Rechtswissenschaft sowie des unverzichtbaren Wissens-Transfers zwischen Wissenschaft und Praxis.

Veranstaltungen

  • Am 8. Oktober 2021 lädt die Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht zu ihrem Neunten Symposion zum Thema „Welche Loyalität brauchen kirchliche Einrichtungen?“ in den Hospitalhof in Stuttgart ein.
  • Am 18. Oktober 2019 lud die Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht zu ihrem Achten Symposion zum Thema "Kirchliches Arbeitsrecht auf neuen Wegen" in das Haus der katholischen Kirche in Stuttgart ein.
  • Am 12. Oktober 2018 lud die Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht zu ihrem Siebten Symposion zum Thema "EuGH und kirchliches Arbeitsrecht: was bleibt von der Kirchenautonomie?" in das Haus der katholischen Kirche in Stuttgart ein.
  • Am 6. Oktober 2017 lud die Forschungsstelle zu ihrem Sechsten Symposion zum Thema "Welche Loyalität dürfen kirchliche Einrichtungen fordern? - Auf der Suche nach Eckpfeilern der Identität von Caritas und Diakonie" in den Hospitalhof Stuttgart ein.
  • Am 21. Oktober 2016 lud die Forschungsstelle zu ihrem Fünften Symposion zum Thema "Dienstgemeinschaft im 21. Jahrhundert - christliche Unternehmenskultur auf dem Prüfstand" in das Haus der Katholischen Kirche in Stuttgart.
  • Die Diözese Eichstätt lud am 2. bis 3. Juni zu den Hirschbergern Gespräche zur Fortentwicklung des Dritten Weges zum Thema "Grundordnung - Quo vadis?" in das Schloss Hirschberg ein. Als Referenten traten auf: Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl (Berliner Institut für christliche Ethik und Politik - ICEP, Prof. Herbert Landau (Richter des Bundesverfassungsgerichts), Prof. Dr. Andreas Suchanek (HHL Leipzig Graduate School of Management) und Generalvikar Peter Beer (Erzdiözese München-Freising) (Bericht des KNA Informationsdienstes, dort S. 3)
  • Das Vierte Symposion wird am Freitag, 23. Oktober 2015, im Evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof, in Stuttgart stattfinden. Thema: "Nach der Reform ist vor der Reform - MAV-Recht im ständigen Wandel".
  • Das Dritte Symposion fand am Freitag, 24. Oktober 2014 im Haus der katholischen Kirche, in Stuttgart statt. Thema: "Loyalitätsobliegenheiten im Umbruch".
  • Am 25.Oktober 2013 veranstaltete die Forschungsstelle ihr Zweites Symposion zum Thema "Gewerkschaften im Dritten Weg". Veranstaltungsort ist das Diakonische Werk Württemberg (DWWÜ) in Stuttgart.
  • Am Donnerstag, 25. Oktober 2012, fand das Erste Symposion zum Thema: "Streik im Dritten Weg?" statt.
  • Anlässlich der Gründung der Forschungstelle fand am 11. November 2011 eine feierliche Eröffnungsveranstaltung im Fürstenzimmer des Schlosses zu Tübingen statt. Tagungsberichte sind erschienen in: ZMV 2011, 307 f. und KuR 2/2011, 289 ff.

Vorträge

  • Prof. Hermann Reichold war am 24. Juni 2015 von der Justizpressekonferenz nach Karlsruhe eingeladen worden, um über die Liberalisierung des katholischen kirchlichen Arbeitsrechts einen Überblick zu geben. Die Ende April verabschiedete neue Grundordnung wurde in Bezug auf das neue Loyalitätsrecht teils kritisch diskutiert. Auch der BVerfG-Beschluss vom 22.10.2014 (Chefarzt-Fall) wurde ausführlich hinterfragt. Anwesend waren Richterinnen und Richter des Bundesgerichtshofs, dort zugelassene Rechtsanwälte und die aus Karlsruhe für den SWR / die ARD regelmäßig berichtenden Journalistinnen und Journalisten mit volljuristischer Ausbildung.
  • Am 1. November 2013 referierte Prof. Hermann Reichold vor den Stipendiaten des Cusanuswerks zum Thema "Verfassungs- und europarechtliche Problematik der Kirchenautonomie im Arbeitsrecht" in der Katholischen Akademie Schwerte. Die Jahrestagung der Fachschaft Jura stand unter dem Motto "Staat und Religion - neue Anfragen an eine vermeintlich eingespielte Beziehung". Nach Reicholds Vortrag ergab sich eine sehr lebhafte Diskussion über Sinn und Unsinn der Loyalitätsobliegenheiten in den Arbeitsverhältnissen der katholischen Kirche und ihrer Einrichtungen sowie über die Rolle der "Dienstgemeinschaft" im kollektiven Arbeitsrecht der Kirchen.
  • Aus Anlass der Mitgliederversammlung des Diakonischen Werks Bayern in Nürnberg äußerte sich Prof. Reichold am 24. Oktober 2013 ausführlich zum Thema "Wie viel Streit verträgt die Diakonie? Arbeitsrechtliche Kommission versus Tarifkommission". Dabei wurden funktionelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Tarifkommissionen und den "geschlossenen" Arbeitsrechtlichen Kommissionen der evangelischen Landeskirchen aufgezeigt, zudem das schwierige Thema der je nach Arbeitsfeld unterschiedlichen Refinanzierung sozialer Arbeit diskutiert.
  • Am 17. April 2013 referierte Prof. Hermann Reichold vor der Göttinger Rechtswissenschaftlichen Gesellschaft aus Anlass des BAG-Urteils zum Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen zum Thema "Kirche und Arbeitskampf - wie passt das zusammen?".
  • Am 4. und 5. März 2013 fand in Eichstätt die Sechzehnte Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht zum Thema "Interessenvertretung im kirchlichen Arbeitsrecht" statt, auf der Prof. Hermann Reichold zur Frage "Streik im Dritten Weg?" referierte.
  • Prof. Hermann Reichold nahm am 18. Januar 2013 in der Forschungsstätte der Evang. Studiengemeinschaft (FEST) Heidelberg an einem Fachgespräch zwischen Theologen, Juristen und Sozialwissenschaftlern zum Thema "Dienstgemeinschaft - ein Begriff auf dem Prüfstand" teil. Dabei ging es um die arbeits- bzw. kirchenrechtlichen Implikationen des Begriffs und seine Bedeutung für die spezifische Ausformung des kirchlichen Arbeitsverhältnisses. Reichold warnte vor einer unangemessenen Überhöhung des Begriffs, der mehr Programmsatz als Rechtsbegriff sei.
  • Das hoch aktuelle Thema "Streik im Dritten Weg?" nach den BAG-Urteilen vom 20.11.2012 war Titel eines Vortrages, den Prof. Hermann Reichold am 27. November 2012 vor dem Fachausschuss Personal und Organisation des Katholischen Krankenhausverbandes Deutschland (KKVD) gehalten hat.
  • Am 22. November 2012 referierte Elisabeth Hartmeyer auf dem Fachtag des Diakonischen Werks Württemberg zum Thema "Christliches Selbstverständnis angesichts kultureller und religiöser Pluralität - wie flexibel ist die Dienstgemeinschaft?".
  • "Dritter Weg ins Abseits oder als sinnvolle Alternative zum Zweiten Weg" war Titel eines Vortrags von Prof. Hermann Reichold anlässlich der diözesanen Wahlversammlung der Dienstgeber am 5. September 2012 in Paderborn.
  • Im Rahmen einer Klausurtagung der Mitarbeiterseite der Regional-KODA NW in Paderborn am 12. Juni 2012 referierte Elisabeth Hartmeyer zum Thema "Grundlagen und aktuelle Entwicklungen im kirchlichen Arbeitsrecht".
  • Gegenstand eines Vortrags, den Prof. Hermann Reichold am 4. Juni 2012 auf einer Fortbildungsveranstaltung des VDD für Richter/innen der kirchlichen Arbeitsgerichtsbarkeit gehalten hat, bildete die "Aktuelle Rechtsprechung der staatlichen Gerichte zum Kirchlichen Arbeitrecht (2009-2012)". Die Fortbildung fand statt im Exerzitienhaus Himmelspforten, in Würzburg.
  • Am 9. Mai 2012 referierte Prof. Hermann Reichold im Rahmen einer Veranstaltung der Mitarbeiterseite der Zentralkoda in der katholischen Akademie in Freiburg zum Thema "Streikrecht im Dritten Weg?". Im Anschluss fand ein Gedankenaustausch mit Dienstgebervertretern der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes statt.
  • Vom 18.-20. März 2012 war die Forschungsstelle auf dem Frühjahrstreffen der Theologinnen und Theologen im Diözesan Caritasverband (DiCV) im Kloster Reute vertreten. Inhaltlich stand die Grundordnung im Fokus, zu deren Stellenwert und Bedeutung Elisabeth Hartmeyer referierte.
  • Am 5. und 6. März 2012 wurde eine Vertiefungsgruppe auf der Fünfzehnten Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht in Eichstätt zu dem Thema "Neubestimmung der Loyalitätspflichten durch die Rechtsprechung?" von Elisabeth Hartmeyer mit Einführungsreferat eröffnet und geleitet.
  • Am 13. Juli 2011 hielt aus Anlass des Studientags der KODA-Mitarbeiterseite im Erzbistum Freiburg im Geistlichen Zentrum St. Peter Prof. Hermann Reichold einen Vortrag zu "Kirchlicher Sonderweg im Fokus von Gerichten und Politik". Es schloss sich ein Workshop an.
  • Am 22. Juni 2011 fand an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen, Lehrstuhl Prof. Puza, ein Vortrag zum Thema "Arbeitsrecht für Theologen" statt. Es referierte Elisabeth Hartmeyer.